Erklärung zur Zukunft der sozialen Sicherung in Deutschland

Die Sozialversicherung stellt den wichtigsten Eckpfeiler der sozialen Sicherung in Deutschland dar. Die Absicherung der Bürgerinnen und Bürger im Fall von Krankheit und Pflegebedürftigkeit sowie Arbeitslosigkeit, Erwerbsminderung und Alter gilt als eine der größten Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft. Zugleich gerät das System der sozialen Sicherheit zusehends in finanzielle Schieflage. Dies wird angesichts stetig steigender Beitragssätze besonders ersichtlich.

Haupttreiber der „Beitragsdynamik“ in der Sozialversicherung ist die demografische Entwicklung, die in Deutschland genauso wie in fast allen Industriestaaten eine zunehmende Alterung der Gesellschaft nach sich zieht. Einfach formuliert heißt das: Einer steigenden Zahl an Menschen im Seniorenalter steht eine abnehmende Zahl an Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 66 Jahren gegenüber.

Die Folgen dieser Entwicklung werden anhand des Status Quo in der Renten- und Pflegeversicherung besonders deutlich. So steht einer steigenden Zahl an Rentenbeziehenden und Pflegebedürftigen eine stagnierende Zahl an Beitragszahlenden gegenüber. Langfristig ist aufgrund des demografischen Wandels sogar mit einer abnehmenden Zahl an beitragspflichtig Beschäftigten zu rechnen. Auch im Bereich der Krankenversicherung machen sich die Auswirkungen einer alternden Gesellschaft bemerkbar.

Verstärkt wird der Beitragsanstieg in der Sozialversicherung dadurch, dass die Übernahme gesamtgesellschaftlicher Aufgaben aus Bundesmitteln nicht vollumfänglich gewährleistet ist. In den fast drei Jahren ihres Bestehens gelang es der Ampel-Koalition nicht, die in Aussicht gestellte Begleichung versicherungsfremder Leistungen in der Kranken- und Pflegeversicherung auf den Weg zu bringen. Eine Umsetzung in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode gilt als unwahrscheinlich. In der gesetzlichen Rentenversicherung wurden sogar die für gesamtgesellschaftliche Aufgaben vorgesehenen Bundeszuschüsse wiederholt gekürzt, um Defizite im Bundeshaushalt auszugleichen. Weitere Einsparungen sind vorgesehen, sodass sich die Kürzungen laut der Deutschen Rentenversicherung bis 2027 auf neu Milliarden Euro summieren werden.

Leidtragende dieser Entwicklung sind nicht nur die Versicherten, sondern auch die Arbeitgeber*innen, die hälftig zur Finanzierung der Beiträge beitragen. Die bis vor kurzem geltende Sozialgarantie von 40 Prozent ist inzwischen Geschichte. Langfristig wird mit einer Beitragsbelastung von bis zu 50 Prozent gerechnet, die Versicherte und Unternehmen unmittelbar belastet.

Die gesetzliche Rentenversicherung

Entgegen früherer Annahmen hat die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) in den zurückliegenden Jahren eine stabile Beitragsentwicklung erlebt. Dies lässt sich vor allem auf die positive Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland zurückführen. Derzeit ist eine Rekordzahl von mehr als 45 Millionen Menschen beschäftigt, davon 36 Millionen in sozialversicherungspflichtigen Jobs.

Für die kommenden Jahre zeichnet sich aufgrund der demografischen Entwicklung allerdings eine regelrechte „Beitragsexplosion“ ab. So wird der Beitragssatz zur GRV laut Prognosen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bis zur Mitte der 2030er Jahre um fast vier Prozentpunkte steigen. Gleichzeitig zeichnet sich trotz deutlich steigender Beiträge eine Zunahme der Altersarmut ab. Tiefgreifende Reformen lassen auf sich warten und sind durch das vorzeitige Ende der Bundesregierung auf kurze Sicht unwahrscheinlich geworden. Schon das von der Ampel-Regierung ursprünglich geplante Rentenpaket II stellte nur einen kleinen Wurf dar, der es an nachhaltigen Finanzkonzepten fehlen ließ. Auch die darin enthaltenen Pläne zur Einführung eines kapitalgebundenen Generationenkapitals blieben deutlich hinter den Erwartungen zurück, wenn es darum geht, die Beitragszahlenden langfristig in nennenswertem Umfang zu entlasten.

Die gesetzliche Krankenversicherung

In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat sich seit Einführung des durchschnittlichen Zusatzbeitrages ein Dualismus in der Beitragserhebung herausgebildet. Während der reguläre Beitragssatz zur GKV stabil geblieben ist, obliegt es den 95 gesetzlichen Krankenkassen, über stetig steigende Zusatzbeiträge ihre Finanzen ausgeglichen zu halten. Kostensteigerungen im Krankenhaussektor sowie steigende Arzneimittelkosten haben den Zusatzbeitrag in diesem Jahr deutlich in die Höhe schnellen lassen, während die Bundesregierung keine Veranlassung sieht, den regulären Beitrag zu erhöhen. In der Folge werden die gesetzlichen Krankenkassen zum Sündenbock für eine Entwicklung gemacht, die faktisch außerhalb ihres Gestaltungsspielraums liegt.

Zugleich stagniert der steuerfinanzierte Bundeszuschuss zur GKV – mit Ausnahme zusätzlicher Ausgaben während der Corona-Pandemie – bei 14,5 Milliarden Euro, wohingegen die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenkassen von Jahr zu Jahr steigen. So wurde beispielsweise die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbarte Kostenübernahme der Beiträge für Bürgergeldbeziehende durch den Bund bis heute nicht in Gänze umgesetzt. Alleine dies treibt die Ausgaben der GKV um 8 Milliarden Euro zusätzlich in die Höhe. Mit der Einbindung der Krankenkassen in die Finanzierung der geplanten Krankenhausreform zeichnet sich bereits die nächste Belastung für die Beitragszahlenden ab.

Die soziale Pflegeversicherung

Von allen drei demografiesensiblen Sozialversicherungszweigen ist die soziale Pflegeversicherung (SPV) derzeit der prekärste. In den zurückliegenden zehn Jahren hat sich die Zahl pflegebedürftiger Menschen verdoppelt. In der Konsequenz ist auch der Beitragssatz deutlich angehoben worden und liegt inzwischen bei bis zu 4 Prozent. Zum Beginn des Jahres 2025 wird der Beitrag erneut um 0,2 Prozentpunkte angehoben. Nach Prognosen droht bis 2035 ein Anstieg auf über 5%. Zwar hat sich aufgrund von Gehaltssteigerungen und Einstellungen der Betreuungsschlüssel im Bereich der Pflege stabilisiert. Allerdings sind etliche Pflegebedürftige auf zusätzliche Transferleistungen des Staates angewiesen, weil Altersbezüge und Vermögen in zunehmendem Maße nicht die stetig steigenden Wohn- und Verpflegungskosten in der stationären Pflege decken können.

Entlastungen von Seiten des Staates lassen trotz der enormen Beitragsdynamik auf sich warten. Die im Koalitionsvertrag erwähnte Übernahme der Rentenbeiträge pflegender Angehöriger durch den Bund wurde bislang nicht in die Tat umgesetzt. Genauso wurde der Bundeszuschuss in Höhe von einer Milliarde Euro für den Pflegevorsorgefonds aufgrund der Sparvorgaben im Bundeshaushalt bis zum Jahr 2027 ausgesetzt. Damit zeichnen sich für die kommenden Jahre deutliche Finanzierungslücken bei der SPV ab.

Die nächste Bundesregierung muss sich einer umfassenden Reform stellen

Die fortlaufende Beitragsdynamik stellt für die Versicherten eine zunehmende Belastung dar. Steigende Beiträge verringern automatisch das verfügbare Einkommen der Beschäftigten. Steigende Beiträge stellen aber auch eine größer werdende Hypothek für Unternehmen dar. Denn steigende Lohnnebenkosten verteuern den Faktor Arbeit und gefährden die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Gleichzeitig zeichnet sich trotz steigender Ausgaben eine Zunahme von Altersarmut ab. Und auch im Bereich der Pflege dienen steigende Beiträge lediglich der Deckung des zunehmenden Bedarfs.

Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Arbeitnehmerorganisationen (ACA) fordert vor diesem Hintergrund eine intensive Debatte über Zustand und Zukunft des deutschen Sozialsystems. Insbesondere mit Blick auf den anstehenden Bundestagswahlkampf wird eine intensive Auseinandersetzung auf Basis konkreter Konzepte der zur Wahl stehenden Parteien erwartet. Angesichts der sich schon kurzfristig anbahnenden Beitragsdynamik bedarf es in der kommenden Legislaturperiode einer umfassenden Reform der Beitrags- und Steuerfinanzierung in der Sozialversicherung. Dabei sollte weder die Erschließung neuer Einnahmequellen noch eine Ausweitung von Steuerfinanzierung ausgeschlossen sein. Vor allem aber sollte auch nach Effizienzgewinnen auf Seiten der Verwaltung und der Leistungserbringer geschaut werden. Nur mit einem ganzheitlichen Konzept lässt sich die Zukunftsfähigkeit der Sozialversicherung – ein Markenkern der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland – nachhaltig sichern.

Köln, 18. November 2024

Die Delegiertenversammlung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Arbeitnehmer-Organisationen (ACA)

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